«Der Everest ist kein Ziel für mich»
Interview mit der Willerzeller Nachwuchskletterin Franziska Schönbächler, die neu zum SAC Expeditionsteam zählt
Klettert für ihr Leben gern: Die 23-jährige Franziska Schönbächler aus Willerzell.
Sie geht die glatten Wände hoch – wie hier im Glarnerland.
Franziska Schönbächler mit ihrem Trainer Benno Ochsner im Berg.
Einsiedeln hat eine neue Nachwuchskletterin: Franziska Schönbächler aus Willerzell. Die 23-Jährige wurde jüngst als eine von sechs jungen Frauen in das Expeditionsteam des Schweizerischen Alpenclubs aufgenommen.
WOLFGANG HOLZ
Frau Schönbächler, Klettern bedeutet für Sie das Leben. Ist Klettern aber im Grunde nicht eine etwas arg mühsame Fortbewegungsart?
(lacht) Klettern ist sicherlich untypisch. Es ist aber wirklich schön, sich in dieser Art fortzubewegen. Man nimmt auf diese Weise einen Berg nicht auf dem einfachsten Weg. Man braucht dafür viel Kraft, viel Intuition. Und man muss sich psychisch überwinden. Der Weg ist das Ziel. Hört sich spannend an. Sie müssen gut klettern können. Denn Sie sind neuerdings Teil des Expeditionsteams des Schweizerischen Alpenclubs, in dem sechs junge Frauen und sechs Männer zu hochklassigen Bergsteigern ausgebildet werden. Was bedeutet Ihnen diese Ehre? Ich habe mich riesig gefreut und bin recht euphorisch. Es ist für mich eine Riesenchance, die mich weiterbringen kann, mir und meiner SAC Sektion Einsiedeln zusätzliches Know-how anzueignen und durch verschiedene Ausbildungsmodule meine Technik zu verfeinern. Ja, eine komplette Alpinistin zu werden. Wie sind Sie als Frau zum Klettern gekommen?
Ich habe Glück gehabt, dass ich über meinen früheren Primarschullehrer Benno Ochsner zum Klettern gekommen bin. Dass Frauen klettern, ist aber nicht mehr so aussergewöhnlich: Der Anteil von Frauen, die klettern, ist eigentlich heutzutage sehr hoch. Ich kann mich beim Klettern draussen extrem gut erholen. Man ist sofort ein anderer Mensch und vergisst alles andere.
«Ich muss diese Angst auch jedes Mal beim Klettern neu überwinden.»
Franziska Schönbächler
Ist Klettern aber wirklich so entspannend?! Haben Sie gar keine Angst vorm Klettern? (lacht) Doch ich habe schon auch immer wieder Angst. Ich muss diese Angst auch jedes Mal beim Klettern neu überwinden. Es ist eine gesunde Reaktion des Körpers, aber natürlich auch eine Trainingssache. Und natürlich muss man jeweils auch die Gefahren kennen und einschätzen können. Sie müssen sich das mit dem Selbstüberwinden ungefähr so vorstellen, wie wenn Sie auf einem Fünf-Meter-Brett im Schwimmbad stehen und hinunterspringen wollen … … ich bin bis jetzt immer nur vom Drei-Meter-Brett gesprungen … (lacht) Ok. Dann eben vom Drei-Meter-Brett. Bevor man von dort hinunterspringt, muss man ja auch kurz die Angst ausblenden. Alles vergessen. Ähnlich ist es beim Klettern. Ich empfinde solche Situationen als Herausforderung, als grosse Freude. Da ist sicher auch viel Adrenalin im Spiel. Man kann sich richtig auspowern. Ausserdem sind wir ja am Seil gesichert. Je nach Absicherung der Kletterroute sind die Stürze nicht grösser als 5 bis 10 Meter. Sie sind mutig. Schwebten Sie auch schon in Lebensgefahr? Ja, ich denke schon. Ein einziges Mal bisher. Es war während des Abstiegs von einer Nordwand im Glarnerland. Es hatte viel Schnee, viel mehr Schnee, als wir gedacht hatten. Den Schnee hatte es überall hin so verweht, sodass man nie genau wusste, wo man sicher stehen konnte. Wir waren recht müde vom Stampfen durch den beinahe hüfttiefen Schnee, und ich hatte zwei Eispickel, von denen einer gut war, der andere dagegen nur noch einen schlechten Grip hatte. Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich mich jetzt 100 Prozent konzentrieren muss, damit nichts passiert. Am Ende war ich stolz, dass ich meine Angst überwinden konnte und immer die Beherrschung über meinen Körper behielt.
«Ich schlafe sehr gerne, am liebsten acht Stunden.»
Wenn Sie solche Situationen heil überstehen, wäre ja die Eigernordwand gerade das Richtige für Sie?
Für die Eigernordwand ist mein Niveau noch nicht gut genug.
Dann eben der Mount Everest?
Der ist kein Ziel für mich. Das hat mit Bergsteigen auch nichts mehr zu tun. Es widerspricht der Philosophie des alpinen Bergsteigens, sich an einem Fixseil hochzuziehen und sich seine Ausrüstung durch Sherpas hochtragen zu lassen. Welche schwierigen Berge haben Sie schon erklommen? Das ist eine lustige Frage. Weil man beim Klettern eben nicht immer gleich ganze Berge hochsteigt. Oft klettert man nur wenige Seillängen eine Wand hoch und geht dann zur nächsten. Den höchsten Berg, den ich bisher bestiegen habe, war der 4545 Meter hohe Dom im Wallis. Aber der war eigentlich nicht so anspruchsvoll, das fühlte sich eher wie eine Wanderung an. Haben Sie einen Lieblingsberg?
Den Zevreila im Valsertal in Graubünden. Das ist ein sehr schöner Fels, weil es sich um eine reine Granitwand handelt. Es gibt einem ein gutes Gefühl, diesen harten Stein hochzuklettern. Meistens klettere ich übrigens zu zweit – oft mit anderen Frauen zusammen. Um so gut und sicher klettern zu können, sind Sie wohl topfit? Am Wochenende bin ich meistens beim Klettern. Unter der Woche mache ich viel Krafttraining – durch verschiedene Übungen mit Körpereigengewicht, also beispielsweise Klimmzüge und Liegestütze. Ausserdem arbeite ich viel mit dem TRX-Band. Das ist so ein festes Band, mit dem ich all die verschiedenen Muskeln in meinen Armen stärken kann. Und dann gehe ich natürlich Joggen und Velofahren. Action rund um die Uhr. Könnten Sie es sich auch vorstellen, ruhigeren Dingen nachzugehen wie Briefmarken sammeln oder Bonsai-Bäumchen kultivieren? (lacht) Gute Frage, ich befinde mich ja in der Ausbildung zur Gartenbautechnikerin. Mit Bonsai- Bäumchen habe ich es tatsächlich schon mal probiert. Aber es hat nicht funktioniert. Was Ruhe angeht – ich schlafe sehr gerne, am liebsten acht Stunden. In den Ausgang gehe ich nicht so viel – aber feiern kann ich schon auch. Sie haben Tourenleiter Benno Ochsner vom SAC Sektion Einsiedeln viel zu verdanken. Was ist das Besondere an ihm? Er hat mir den Sport nahegebracht. Hat mir alles gezeigt und dabei viel Geduld für mich aufgebracht. Er hat mir quasi die ganze Bergwelt offenbart. Er hat mir aber auch vermittelt, dass es genauso wichtig ist, jedes Mal nach dem Klettern wieder gesund nach Hause zu kommen, wie eine schwierige und erfolgreiche Tour zu absolvieren. Gibt es auch etwas, wovor Sie sich fürchten? Ja, beim Bergsteigen hat mich mal eine Schlange überrascht und erschreckt. Ausserdem habe ich Angst vor Lawinen.
Was ist Ihr grösstes Ziel?
Ich würde gerne mal den Schwierigkeitsgrad 8a klettern. Das ist ein Schwierigkeitsgrad am Berg, an dem man je nach Stil der Route sehr viel Kraft, Technik und psychische Stabilität aufbringen muss. Man muss sich quasi wie eine Eidechse im Fels bewegen. Letzte Frage: Wie gehen Sie persönlich mit Corona um? Für mich wirkt das Ganze sehr unreal. Es ist aber sicher richtig, wenn man die Schutzmassnahmen wie Händewaschen und Abstand halten einhält. Andererseits sollte man keine Angst vor Corona haben und an sich selbst glauben. Daran, dass der eigene Körper das Virus übersteht.
Fotos: Wolfgang Holz/zvg