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«Was medizinisch machbar ist, wird heute meist gemacht»

«Was medizinisch machbar ist,  wird heute meist gemacht» «Was medizinisch machbar ist,  wird heute meist gemacht»

Dass der Wert eines Lebens davon abhängt, wo man lebt, hat Antoine Chaix geprägt. Am Montag legte der Einsiedler Arzt seine Ansichten im Schweizer Fernsehen dar.

VICTOR KÄLIN

Die Diskussion, ob man «Menschenleben gegen Geld abwägen » kann, hat am Montagabend, 4. Mai, auch die Sendung «10 vor 10» erreicht. «Was darf ein Menschenleben kosten?», fragten die Journalisten. Die Suche nach Antworten führte Stephan Rathgeb unter anderem zu Antoine Chaix. Der Einsiedler Hausarzt, der früher für «Médecins sans frontières» unter anderem in afrikanischen Cholera- Gebieten tätig war, schrieb Bundesrat Alain Berset vor einigen Wochen einen persönlichen Brief; das «Bieler Tagblatt» führte anschliessend ein langes Gespräch mit ihm. Das daraus entstandene Interview «Wie viel ist ein Leben wert? Wie viel in welchem Abschnitt des Lebens?» veröffentlichte der Einsiedler Anzeiger am 8. April (EA 28/20). «Wie Schwerverbrecher …»

Auch gegenüber dem Schweizer Fernsehen betonte Antoine Chaix, die Diskussion keinesfalls aufs Finanzielle reduzieren zu wollen. Er warnte aber gleichzeitig. «Falls wir uns dieser Frage als Gesellschaft nicht stellen, befürchte ich, dass sich diese Frage irgendwann automatisch durch die verfügbaren finanziellen Mittel selbst beantwortet – wie es in vielen Ländern längst der Fall ist.» Chaix verwies auch auf einen anderen als rein finanziellen Preis: den der harten Massnahmen, welcher «bei alten Menschen besonders hoch ist. Sie sind in Alters- und Pflegeheimen abgeriegelt». Für Antoine Chaix eine «massive Bevormundung». Für ihn ist es zentral, den alten Menschen die Wahl zu geben, ob sie den Schutz wollen: «Überall sonst haben wir Wahlfreiheit und man darf über seine Gesundheit selbst entscheiden. Gerade die Alten jedoch wurden am wenigsten gefragt. Wenn ich als Hausarzt meine Patienten frage, wie sie sich entscheiden würden, sagen die meisten Leute: Ich würde lieber sechs Monate weniger lang leben und dafür meine Enkel sehen, als eingesperrt zu sein.» Chaix will auch wahrnehmen, dass «für die alten Menschen in der Gesellschaft die Spannung zunimmt: Sie werden wie Schwerverbrecher angeschaut, denn man macht den ganzen Aufwand ja für sie». Praktisch alles ist machbar

Antoine Chaix ortet Handlungsbedarf: «Wir müssen ganz grundsätzliche Fragen diskutieren, gerade in der Medizin. Es bräuchte dringend einen Paradigmenwechsel. » Bis jetzt hätte man bis ins hohe Alter medizinisch alles machen können. Chaix erzählt «vom Druck vieler Angehörigen auf ältere Patienten».

Darum würden sich viele Patienten für eine Behandlung entscheiden, obwohl sie das gar nicht unbedingt wollten. «Es braucht viel, als Patient auf eine Behandlung, die der Arzt vorschlägt, zu verzichten», sagt Antoine Chaix. «Heute wird alles, was medizinisch machbar ist, meist einfach gemacht.»

«Sonst beantwortet sich diese Frage von alleine»: Antoine Chaix gegenüber dem Schweizer Fernsehen.

Foto: Screenshot SRF

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