Veröffentlicht am

«Wäre ich jünger, würde ich auch länger bleiben»

«Wäre ich jünger, würde ich auch länger bleiben» «Wäre ich jünger, würde ich auch länger bleiben»

Als Direktor ad interim verabschiedet sich Urs Birchler am 30. April vom Spital Einsiedeln. Als Stiftungsrat bleibt er ihm aber erhalten. Ein Rückblick auf zwölf strube Monate.

VICTOR KÄLIN

Personalabbau, Bettenstilllegung, Rettungspaket, Spitalverkauf, Coronapandemie: Lauter «Horrorgeschichten» begleiten Ihre zwölf Monate als Spitaldirektor … Es genügt! Da haben Sie wirklich nichts vergessen. Die Liste würde für ein ganzes Berufsleben genügen. Sie selbst haben erst vor einem Jahr als Spitaldirektor ad interim begonnen. Da kommt man um diese Frage nicht herum: Wie geht es Ihnen heute? Es geht mir sehr gut – ob Sie es glauben oder nicht. Ich denke gerne an diese 12 Monate zurück. Ich habe engagierte und aufgestellte Menschen kennengelernt …

Keine Alpträume?

Nein. Aber einige kurze Nächte dann und wann gab es schon. 60-Stunden-Wochen waren nicht immer zu vermeiden. Beeindruckend ist die Energie, mit welcher Sie diese Aufgabe stemmen. Lange Arbeitstage und eine 6-Tage-Woche sind keine Ausnahme. Woher nehmen Sie die Kraft? (überlegt) Es war die Freude an der Herausforderung. Zudem wurde ich von den mir zuvor mehrheitlich unbekannten Mitarbeitenden des Spitals Einsiedeln sehr gut aufgenommen. Und letztlich erfreue ich mich privat an einem tollen und soliden Umfeld. Sie wurden Ende April letzten Jahres mehr oder weniger «ins kalte Wasser» geworfen. Wie ist es Ihnen gelungen, sich dermassen schnell einzuarbeiten, sich im Spital zurechtzufinden und innert Kürze den Überblick zu gewinnen – zumal Ihnen ja keine ordentliche Übergabe gegönnt war?

Auch hier spielen verschiedene Komponenten zusammen. Die grossen Themen eines Spitals wie Infrastruktur, Organisation, Führung und Finanzierung sind mir seit 33 Jahren vertraut. Das waren sozusagen die Grundvoraussetzungen, welche ich auch hier in Einsiedeln einbringen konnte. Das allein genügt aber noch nicht?

Das ist richtig. Mir kam zugute, dass ich auf alle Mitarbeitenden zugegangen bin – und diese nahmen mich offen auf. Was ich nicht wusste, fragte ich. Und bekam Antworten. So war es wirklich. Zudem war ich zuvor anderthalb Jahre im Stiftungsrat der «Stiftung Krankenhaus Maria zum finstern Wald»; da hatte ich bereits konkrete Vorkenntnisse der Situation hier in Einsiedeln. Aber wie gesagt: Die Menschen kannte ich noch nicht. Würden Sie für diesen Job nochmals zusagen?

Das würde ich. Und wäre ich jünger, würde ich auch länger bleiben.

Trotz Corona-Pandemie?

Ja. Dafür kann das Spital ja nichts.

In welcher Verfassung übergeben Sie als Direktor den Spitalbetrieb an die Ameos-Gruppe, respektive die neu gegründete Spital Einsiedeln AG? Das Spital geht auch nach der Übernahme weiterhin durch einen Veränderungsprozess. In jüngster Vergangenheit hat es zwar wesentliche Fortschritte gemacht und ist dabei fitter geworden – es muss dennoch mittelfristig aus der Verlustzone herauskommen und wieder Gewinne machen. Wie sehen diese Fortschritte aus? Unter anderem haben wir den Geschäftsaufwand um 3,5 Millionen Franken reduzieren können. Ein wiederkehrender Effekt, der sich 2020 eher noch verstärken wird – die ausserordentlichen Corona-Folgen einmal ausser Acht lassend. Wo sehen Sie die grössten Baustellen?

In zwei Bereichen. Einerseits sind weitere Prozessoptimierungen zum Beispiel in der interdisziplinären Zusammenarbeit nötig; andererseits müssen wir herausfinden, wie wir für die erweiterte Region zusätzliche bedarfsgerechte Angebote generieren können – in Zusammenarbeit mit der Hausarztmedizin und auf der Basis eines grundversorgenden Landspitals.

Wie schwer schlagen die Corona- bedingten Notfall-Massnahmen des Bundesrates wie das faktische Operations-Verbot oder die Aufrüstung der Intensivstation finanziell zu Buche? Auch in Einsiedeln blieben deswegen deutlich weniger Betten besetzt, was wiederum weniger Personal benötigte. Auf Kurzarbeit haben wir aber verzichtet und stattdessen Überstunden und Ferienguthaben abgebaut. Da die Spitäler seit gestern Montag, 27. April, zum Normalbetrieb zurückkehren und wieder sämtliche Eingriffe vornehmen können, müssen wir in Einsiedeln auch keine Kurzarbeit mehr einführen.

Und finanziell?

Die Ertragsminderung kann nur geschätzt werden. Realistisch sind wohl drei Millionen Franken Mindereinnahmen.

Und der Zusatzaufwand?

Auch wir mussten uns auf einen Corona-Tsunami vorbereiten. Glücklicherweise hat uns bisher nur eine schwache Welle erfasst. Im Spital Einsiedeln betreuten wir nur wenige Covid-Patienten. Und wir hatten zusätzliches Glück, dass sich 17 Freiwillige für die Pflege gemeldet haben. Wir waren sehr froh um deren Einsätze.

Der Zusatzaufwand insgesamt lässt sich derzeit noch nicht beziffern. Eine Zahl ist jedoch definitiv: Wir haben extra für 200’000 Franken Schutzmaterial eingekauft. Selbst bei einer höheren Zahl an Corona-Patienten sind wir gewappnet. Fachleute vermuten, dass die Auswirkungen der Corona-Krise für viele Spitalbetriebe existenzbedrohend sind. Wo steht Einsiedeln? Dank der erfolgten Integration in die Ameos Gruppe sind die Folgen nicht existenziell – aber eine spürbare Zusatzbelastung. Ohne die rückwirkend auf den 1. Januar 2020 erfolgte rechtliche Einbindung in die Ameos Gruppe hätte unsere Stiftung Krankenhaus allerdings eine Geld-Infusion benötigt.

Der Kanton Bern zum Beispiel ist vorausgegangen und hat eine detaillierte Verordnung erlassen, welche den Spitälern Ausgleichsleistungen für die teilweise sehr hohen Ertragsausfälle garantiert. Gibt es etwas Vergleichbares im Kanton Schwyz? Den Spitälern liegt eine allgemeine Zusicherung der Schwyzer Regierung vor. Die Regeln dieser Unterstützung sind jedoch offen und müssen noch konkretisiert werden. Gehen Sie davon aus, dass auch die Spitäler finanziell unterstützt werden? Ja. Wie hoch die Summe sein wird und wofür die Gelder gesprochen werden, ist aber völlig offen. Wechseln wir das Thema, kommen wir zur Ablösung der Defizitgarantie des Bezirks Einsiedeln. Der Termin für die Bezirksgemeinde steht wegen des Versammlungsverbotes noch immer nicht; ebenso unbekannt ist der Öffentlichkeit der Inhalt der Abstimmungsvorlage. Wie geht es weiter? Meines Wissens ist das offen. Der Bezirksrat wird bestimmt informieren und entscheiden, wenn er weiss, was wann erlaubt sein wird. Und inhaltlich: Dürfen Sie Auskunft geben?

Die Information der Öffentlichkeit

ist ebenfalls eine Aufgabe des Bezirksrates.

Zum Schluss bitten wir Sie um einen Blick in die weitere Zukunft: Kleine Akutspitäler haben es auch ohne Corona-Krise generell schwer, im Gesundheitsmarkt zu bestehen. Welche Prognose stellen Sie dem Spital Einsiedeln? (überlegt) Kleine Spitäler, die auf sich alleine gestellt sind, werden es zunehmend schwerer haben. Diese Aufgabe zu lösen wird praktisch unmöglich. Daher war es für den Stiftungsrat klar, dass die beste Zukunftsgrundlage für ein Spital in Einsiedeln in einer «strategischen Partnerschaft» besteht. Deshalb kann ich jetzt zusammen mit dem Stiftungsrat optimistisch in die Zukunft blicken. Das Spital Einsiedeln wird das Spital der Region bleiben. Die neue Spital Einsiedeln AG – im Besitz der Ameos Gruppe – ist vertraglich verpflichtet, den Leistungsauftrag der Schwyzer Regierung zu erfüllen. Damit bleiben die Abdeckung der Grundversorgung sowie des Notfalls gesichert. Das war und ist unser Hauptanliegen. Und was löst das nahende Ende des Direktoriums bei Ihnen aus?

Ich werde mit guten, ja besten Gefühlen auf die letzten 12 Monate zurückblicken können. Ich habe – auch als Neuzuzüger – viele tolle Menschen kennengelernt. Und auch den Bezirksrat in corpore, mit dem wir intensiv und gut zusammengearbeitet haben. Ich kann sagen: Jetzt bin ich definitiv in Einsiedeln integriert!

«Wohl drei Millionen weniger Einnahmen»: Urs Birchler zu den Auswirkungen der Corona-Krise am Spital Einsiedeln. Foto: Victor Kälin

Share
LATEST NEWS