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«Fast ein Drittel aller Passagiere hat mehr oder weniger ausgeprägte Flugangst»

«Fast ein Drittel aller Passagiere hat mehr  oder weniger ausgeprägte Flugangst» «Fast ein Drittel aller Passagiere hat mehr  oder weniger ausgeprägte Flugangst»

Olivier «Stübi» Stäuble ist Linienpilot bei Swiss International. Das Arbeitspensum des 51-jährigen Grossers ist jedoch zurzeit stark gekürzt.

LUKAS SCHUMACHER

Der Reiseverkehr ist fast gänzlich lahmgelegt. Haben Sie als Pilot trotzdem noch Arbeit? Die Swiss besitzt momentan 90 Flugzeuge. Davon sind zurzeit ein Langstreckenflugzeug und sechs Kurzstreckenflugzeuge geplant im Einsatz. Die einzige verbleibende Langstreckendestination ist Newark im Bundesstaat New Jersey, welche drei mal wöchentlich angeflogen wird. Zusätzlich wurden und werden Repatriierungs- und Frachtflüge durchgeführt. Für uns Langstreckenpiloten ergeben sich daher nur wenige Flüge, welche bereedert werden müssen. Konkret beutet dies, dass ich nur eine an Stelle von fünf Destinationen pro Monat anfliege. Merkt man als Pilot, dass im Himmel weniger los ist? Ich durfte letzten Donnerstag einen Frachtflug nach Shanghai durchführen. Es war fast schon unwirklich, wie wenige Flugbewegungen es am Boden und in der Luft gab. Dafür sahen wir nach dem Start die parkierten Swiss Flugzeuge auf dem Flugplatz Dübendorf. Und sogar in Shanghai, wo wir jeweils wegen hohem Abflugverkehr viel Geduld haben müssen, um die Bewilligung zum Starten der Triebwerke zu erhalten, wurde diese unverzüglich erteilt. Fürchten Sie um Ihren Job?

Wenn unser Beruf für mich einen Nachteil hat, so ist es derjenige des «Fachidioten». Damit will ich sagen, dass du als Linienpilot nicht die Möglichkeiten hast, in der Schweiz den Arbeitgeber zu wechseln, wie es normalerweise möglich ist. Daher bin ich auf Gedeih und Verderb mit der Swiss verbunden. Somit schwingt natürlich der Gedanke mit, dass bei einem allfälligen Konkurs der Swiss auch meine Zukunft als Pilot ungewiss ist. Wer fliegt jetzt noch mit Ihnen?

Ich habe bis jetzt nur diesen Frachtflug ohne Passagiere nach Shanghai durchgeführt. Ich weiss daher aktuell nicht, wer überhaupt noch mit uns fliegt. Meines Wissens ist der einzig verbleibende Flug nach Newark schwankend ausgelastet.

Was hat sich für Sie in beruflicher Sicht sonst noch geändert seit dem Lockdown? Ich habe das Grounding der Swissair persönlich erlebt. Was damals aus wirtschaftlichen Gründen passierte, ist heute der Reaktion auf einen Grippevirus zu verdanken, nur mit massiv weitreichenderen Konsequenzen. Die grosse Unbekannte für uns in der Reise- und Airline-Industrie ist der Wiedereinstieg. Es ist definitiv nicht möglich, den Schalter auf «on» zu drehen und alles läuft wieder wie gehabt. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich würde mich heute breiter gefächert ausbilden, bevor ich eine Stelle als Pilot bei der Swiss annehmen würde. Bezogen auf meine dem Alter entsprechende Situation warte ich zuerst ab, was in den nächsten Wochen passiert. Seit wann sind Sie Berufspilot ?

Ich habe im Jahr 1992 als Copilot bei der Swissair begonnen.

Kann jeder Pilot werden?

Um zur Selektion zugelassen zu werden, ist offiziell eine erfolgreich abgeschlossene, mindestens dreijährige berufliche Grundausbildung oder prüfungsfreie Zulassung für eine Fachhochschule oder eine universitäre Hochschule Bedingung. Ich persönlich denke, dass fliegerisches Talent, kognitive Fähigkeiten und Teamfähigkeit der Schlüssel zum Erfolg sind.

War dies Ihr Kindheitstraum?

Mein Vater zeigte mir schon früh in Dübendorf, wie die Militärflugzeuge in den Himmel abhoben. Soweit ich mich erinnere, war es mein Grossvater, der mich auf die Kurse der FVS (fliegerische Vorschulung, heute Sphair) verwies. Darauf wuchs in mir der Wunsch, Militärpilot zu werden. Sind Sie heute noch Fan von Flugzeugen oder froh, wenn Sie in der Freizeit keine mehr sehen müssen? Ich bin nicht der Mensch, der sich auf eine bestimmte Idee oder eine Vorstellung versteift. Pilot sein und Flugzeuge bewegen sind eine wunderbare Erfahrung, aber das Leben offenbart unzählige andere Facetten. Wie hat sich Ihr Beruf vom Beginn Ihrer Karriere bis jetzt verändert?

Die Arbeitsbelastung hat, wie in unserer Arbeitswelt allgemein, deutlich zugenommen. Es werden mehr Stunden geflogen und die Aufenthalte im Ausland wurden gekürzt. Was sich nicht geändert hat: Wir Piloten haben über den ganzen Flugablauf und speziell im Cockpit immer noch die «Hoheit». Niemand, auch keine Geschäftsleitung, kann uns vorschreiben, welche Entscheidung wir wann zu treffen haben. Im Gegenzug sind wir aber auch zu 100 Prozent verantwortlich für unser Tun. Was sagen Sie jemandem, der Angst vor dem Fliegen hat? Diese Angst ist für mich absolut verständlich – fast ein Drittel aller Passagiere hat mehr oder weniger ausgeprägte Flugangst. Angst kann man nur bekämpfen, indem man ihr begegnet und sie herausfordert. Swiss bietet entsprechende Seminare an. Ich durfte Flüge mit Passagieren zwecks Linderung von Flugangst durchführen. Der Besuch im Cockpit (natürlich am Boden) und ausführliche Erklärungen beruhigte jeweils die Teilnehmer. Für mich wäre es wünschenswert, Passagiere mit Flugangst während dem Flug in das Cockpit zu lassen, was enorm Vertrauen schaffen würde.

Kamen Sie in Ihrer Laufbahn schon mal in brenzlige Situationen?

In meiner Laufbahn als Militärpilot hatte ich schon die eine oder andere «brenzlige» Situation. Vor 30 Jahren lagen die Prioritäten im Luft- oder Erdkampf auf Effizienz und Erfolg.

In der zivilen Fliegerei lernte ich früh Sicherheit als oberstes Gebot kennen. Ich musste bis jetzt erst einmal sogenannt «Emergency» (Notfall) deklarieren, nachdem eine Passagierin kollabierte – leider verstarb sie auf dem Flug. Neben perfekt gewarteten Flugzeugen und gut ausgebildeten Besatzungen gehört wie überall auch immer ein Stück Glück dazu. Welches ist Ihre Lieblingsdestination?

Ich fliege sehr gerne nach Asien – ich erlebe die Menschen dort zufrieden und bescheidener.

Fliegen Sie auch gerne als Passagier mit?

Ich fliege sehr gerne als Passagier mit, vertraue auf die Besatzung und geniesse den Service an Bord! Am liebsten natürlich mit Swiss oder Edelweiss. Wohin geht Ihr nächster Flug?

Aus aktuellen Gründen ist im April noch kein Flug geplant. Meinen Flugeinsatz für den nächsten Monat erhalte ich jeweils am 20. Tag des Vormonates.

Olivier «Stübi» Stäuble an seinem Arbeitsplatz in den Lüften. Foto: zvg

Der Himmel rund um die Schweiz scheint plötzlich wie leergefegt zu sein: Donnerstag, 16. April, 11.30 Uhr. Screenshot: Flightradar24

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