Die Vertreibung aus dem Paradies
Junger Einsiedler verbrachte Sprachferien in Costa Rica – bis das Coronavirus alles lahmlegte
Der 22-jährige Automatiker Marius Kälin lernte seit Anfang Januar Spanisch in Mittelamerika. Er lebte am Meer in Costa Rica. Vor gut einer Woche musste er seinen Aufenthalt vorzeitig wegen der Pandemie abbrechen und kehrte per «Rettungsflug» zurück in seine Heimat.
WOLFGANG HOLZ
«Anfangs waren wir rund 120 Sprachschülerinnen und Sprachschüler aus aller Welt – am Ende waren es auf einmal nur noch zehn», beschreibt Marius Kälin das Krisenszenario in seinem Domizil in Tamarindo, einem belebten Touristenort an der «Playa» am Pazifik. Schöne Sandstrände und grosse Wellen gebe es dort, ideal für Surfer. Zwischen 35 und 40 Grad warm sei es dort gewesen, erzählt der junge Einsiedler mit einem Hauch von Wehmut in seiner Stimme und lächelt entspannt. Man glaubt fast die Brandung in seinen Worten rauschen zu hören, so paradiesisch muss es dort gewesen sein.
Doch dann habe die Regierung von Costa Rica beschlossen, aufgrund des Coronavirus, von dem bis Mitte März rund 30 Ansteckungsfälle in dem zentralamerikanischen Staat registriert wurden, von heute auf morgen alles dicht zu machen: Schulen, Läden, öffentliche Plätze. «Die Touristen waren schnell alle weg, und das bunte Leben ist zum Erliegen gekommen. Es war alles wie tot.» Das Ende einer Idylle.
Jetzt sitzt der 22-Jährige, der als gelernter Automatiker zuerst bei der Firma Hammerle in Einsiedeln, später bei Kaufmann Metallbau in Goldau arbeitete, neben seiner Mutter zu Hause im Wintergarten. Er ist zwar in Sicherheit. Doch man spürt, dass der junge Einsiedler noch nicht völlig angekommen ist. Irgendwie schweben seine Träume noch Tausende von Kilometern entfernt zwischen Strand und Spanisch.
Nur eine Flasche Cacique, jenes 30-prozentigen Zuckerrohr-Likörs, den Marius Kälin als Souvenir seiner Familie aus Costa Rica mitgebracht hat, erinnert noch an das Beach-Feeling. Wobei der neutrale Geschmack des Getränks irgendwie die Corona- Ernüchterung, ja die herbe Vertreibung aus dem Paradies, widerspiegelt.
Spanisch und Strand
Keine Frage: Das Leben dort in Costa Rica hat dem weltoffenen, jungen Mann gefallen. Täglich rund vier Stunden Sprachunterricht. Viel freie Zeit am Strand mit Sport und vielen jungen Leuten aus aller Welt. Interessante Ausflüge in die Umgebung. Ein netter Familienanschluss im Herzen einer Grossfamilie. «Meine Gastfamilie wohnt in kleinen Häuschen ausserhalb des Dorfs. Der Grossvater hält Schweine, der Vater bietet Pferdekorsos für Touristen an, und der Onkel ist in einem Hotel beschäftigt », erzählt der 22-Jährige, der mit einem Holländer sein Zimmer teilte.
In der Familie habe man immer gemeinsam gegessen – vor allem Reis mit Bohnen in den verschiedensten Varianten. Das habe sehr lecker geschmeckt. «Wenn es etwas zu feiern gab, ging man zum Metzger und leistete sich ein schönes Stück Fleisch.» Den Menschen in Costa Rica, die vor allem von der Landwirtschaft und vom Tourismus leben, gehe es gut. Man lege sehr viel Wert auf Bildung. Es gebe kein Militär. Costa Rica sei trotzdem ziemlich sicher. Obdachlose sehe man keine in den Strassen. «Die Leute wirken eigentlich sehr glücklich, obwohl sie nicht so im Überfluss leben wie wir in der Schweiz. Sie haben, scheint es, nicht so viele Probleme», so Kälin.
Aber warum will ein Automatiker mit Berufsmatura, der sich beruflich mit elektronischen Teilen in Maschinen beschäftigt, überhaupt Spanisch lernen und das auch noch ausgerechnet in Lateinamerika? «Ich wollte einfach mal etwas anderes machen. Englisch kann ich schon, und in Europa ist ja alles irgendwie ähnlich – deshalb habe ich mich für Spanisch entschieden.» Und die Sprachschule, bei der er schliesslich einen Kurs buchte, habe eben Costa Rica im Angebot.
18’000 Franken gekostet Wobei Marius Kälin eigentlich nach seinem Aufenthalt in Costa Rica auch noch jeweils zwei Monate in Madrid und Barcelona verbringen wollte. 18’000 Franken hat ihn dieses neun Monate lange Arrangement bis Ende August gekostet – das er aus Ersparnissen seiner bisherigen Berufszeit bezahlt hat. «Dass ich jetzt nicht mehr nach Spanien kann, ist natürlich schade », bedauert er. Aber er sei mit der Sprachschule so verblieben, dass er diesen Teil seines Sprachaufenthalts nachholen könne. Später. Irgendwann nach Corona.
Apropos. «Anfangs haben wir in Costa Rica im Januar noch über das Virus gelacht, weil der Name ja der gleiche ist wie der des Biers, das in Mexiko gebraut wird», erinnert sich Marius Kälin. Als er dann allerdings mit der Zeit die Entwicklung des Erregers in Europa per Internet regelmässig verfolgte, und seine Mutter ihn bei ihren wöchentlichen WhatsApp-Telefonaten über die Lage in der Schweiz instruierte, sei ihm bewusst geworden, wie ernst die Lage ist. Auch in Costa Rica.
«Ich war dann überrascht bei meiner Rückkehr in die Schweiz, wie viele Menschen sich hier noch auf den Strassen aufhalten », berichtet er. Dabei hatte er Glück, überhaupt noch einen «Rettungsflug» mit Edelweiss zurück in die Heimat zu bekommen, den letzten planmässigen am 9. April. «Der Flieger, der von der schweizerischen Botschaft im Internet affichiert wurde, war am Ende bis auf den letzten Platz gefüllt – auch mit vielen anderen Ausländern, die nach Hause wollten.» Zu Beginn der Corona-Krise hatte der junge Einsiedler nämlich noch abgewartet mit der Heimreise – im Gegensatz zu anderen, die teils panikartig das Land verlassen wollten. Auf diese Weise gehörte er schliesslich zu den letzten zehn in der Sprachschule, die in Tamarindo noch verblieben waren. «Doch als plötzlich auch hier nur noch Online-Unterricht angeboten wurde, war mir klar, dass es Zeit ist zu gehen.» WK vorziehen?
Und jetzt? Marius Kälin weiss auch noch nicht, was er als Nächstes machen will. Sagts und richtet sich auf im gepolsterten Gartenstuhl im Einsiedler Wintergarten, wo warm die Frühlingssonne hereinscheint. «Mit dieser zeitlichen Lücke hatte ich natürlich nicht gerechnet», gibt er zu. Entweder werde er wieder versuchen, bei seiner früheren Firma in Goldau einzusteigen. «Und ich werde mich auf jeden Fall erkundigen, ob ich meinen dreiwöchigen WK eventuell vorziehen kann.» Seine Mutter ist jedenfalls froh, dass Marius wieder zu Hause ist. «Er ist deutlich brauner geworden», sagt sie und lacht.
Traumhafte Sandstrände mit grossen Wellen kann man in Tamarindo an der Pazifikküste von Costa Rica geniessen. Fotos: Marius Kälin
Wegen Corona wird ein öffentlicher Platz abgesperrt.
Marius Kälin (4.v.r.) in seiner costaricanischen Gastfamilie.
Wieder zu Hause in Einsiedeln: Marius Kälin. Foto: Wolfgang Holz
Viele Berge: Costa Rica gilt als Schweiz Zentralamerikas.
«Die Touristen waren schnell alle weg.»
Marius Kälin
«Die Leute dort wirken eigentlich sehr glücklich.» «Ich war dann überrascht bei meiner Rückkehr in die Schweiz, wie viele Menschen sich hier noch auf den Strassen aufhalten.»