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«Wenn eine Mitschwester hustet, so läuten bei mir die Alarmglocken»

«Wenn eine Mitschwester hustet, so läuten bei mir die Alarmglocken» «Wenn eine Mitschwester hustet, so läuten bei mir die Alarmglocken»

Das Klosterleben im Fahr in Zeiten von Corona – WhatsApp-Interview mit Priorin Irene Gassmann

Auch das zu Einsiedeln gehörende Kloster Fahr durchlebt eine belastende Phase, seit eine der Mitschwestern erkrankt ist.

SUSANN BOSSHARD-KÄLIN

Priorin Irene, wie sieht es heute Montag, 6. April, im Kloster Fahr aus? Viele Wochen waren wir in dieser Corona-Krise eine Art «Zuschauerinnen ». Natürlich haben wir uns seit dem 16. März an die Vorschriften des Bundesrates gehalten. Wir empfangen keinerlei Besuche mehr von auswärts, Klosterladen, Pforte, Weinkeller und Restaurant sind längst geschlossen. Das Kloster Fahr als Ausflugsziel ist leer und still. Es gibt keine öffentlichen Gottesdienste mehr, wir halten Abstand, waschen oft die Hände mit Seife, desinfizieren. Wir haben das Geschehen auf der Welt und in unserem Land mitverfolgt, waren sehr betroffen, wurden sensibilisiert für die Not vieler. Wir lebten eine Art «Inselleben ». Einzig die Klosterkirche blieb während einiger Stunden am Tag für Betende offen Und diese offene Kirche wurde uns vermutlich zum Verhängnis. Am 2. April hat sich nämlich die Situation in unserem Kloster schlagartig verändert. Seither sind wir plötzlich Betroffene. Eine Mitschwester ist erkrankt, wurde positiv auf Covid-19 getestet. Unsere ganze Gemeinschaft ist seither in Quarantäne. Die erkrankte Mitschwester bleibt in ihrem Zimmer und wird von einer Mitschwester betreut. Die Patientin ist stabil und auf dem Weg der Besserung Eine anspruchsvolle, ja beängstigende Situation? Ja. Diese Tage sind für uns alle sehr anspruchsvoll. Bei uns läuft nun alles unter Einhaltung höchster Hygienemassnahmen. Fast generalstabsmässig! Innert Stunden haben wir ein Notfallkonzept umgesetzt. Seit wir nun im Kloster direkt mit dem Virus konfrontiert sind, lebe ich in ständiger Angst um meine Mitschwestern, die zum grössten Teil zur Risikogruppe gehören. Wenn eine hustet, so läuten bei mir die Alarmglocken. Da ich mit der infizierten Schwester Kontakt hatte, liess auch ich mich umgehend testen, zusammen mit der Schwester, welche die Infizierte betreut. Es waren bange 24 Stunden des Wartens auf das Resultat. Ich wartete buchstäblich auf mein «Urteil». Die Zeit wollte und wollte nicht vergehen. Ich versuchte zu beten, es gelang mir kaum. Gott du mein Gott, warum hast du mich verlassen? Wie lange noch Herr wirst du mich vergessen? … Als der Telefonanruf unseres Hausarztes endlich Entwarnung gab, dass wir beide aktuell negativ getestet worden sind, machte ich einen Freudensprung im Priorat. Ja, ich musste weinen vor Erleichterung. Diesen Augenblick erfuhr ich als Ostern, als Auferstehung. Ich glaube, dieses Gefühl erleben viele Menschen nach Unsicherheit und Ungewissheit, nach grosser Angst, wenn plötzlich eine erlösende, positive Nachricht kommt. Wie leben Sie als Gemeinschaft den «Quarantäne-Alltag»? Wir leben unseren klösterlichen Alltag unter den gegebenen Umständen weiter und wissen es zu schätzen, dass wir einen rhythmisierten Tag haben. Sechsmal täglich versammeln wir uns in der Kirche zum Gebet. Wir halten seit Mitte März zusätzlich täglich von 17 bis 17.30 Uhr eine Gebetszeit für die Menschen, die von der Krise betroffen sind.

Wichtig finde ich es aber auch, dass wir zwischendurch gemeinsam etwas unternehmen; das ist natürlich jetzt in der Quarantäne eher schwierig. Wir können nicht mehr Kartenspielen, da sitzen wir zu eng. Auch können wir gemeinsam als Gruppe von 19 Schwestern keinen Film mehr gemeinsam anschauen, da unsere Stube zu klein ist, um mindestens zwei Meter Abstand zu halten. Glücklicherweise haben wir einen grossen Garten. Hier spriesst und wächst es jetzt wunderbar. Letzte Woche haben zudem drei Mutterschafe Lämmer geworfen, dreimal gesunde Zwillinge, das ist Unterhaltung und Freude pur.

In dieser Quarantänezeit und bei schönem Wetter machen wir täglich eine halbe Stunde Gymnastik im Freien, das belebt, entspannt, gibt auch zu lachen, verbindet … Priorin Irene, Hand aufs Herz, was macht die Krise mit Ihnen? Zu Beginn habe ich die Ruhe und den ungestörten Klosteralltag sehr genossen. Es kam mir vor wie «Exerzitien». Ich hatte am Nachmittag sogar Zeit, um im Garten zu arbeiten, was ich schon seit Jahren nicht mehr konnte. Gärtnerin wäre ja mein Traumberuf gewesen! Und dann der Schock, der mir tief in den Knochen sitzt. Und ehrlich gesagt, die Angst ist nicht weg, überhaupt nicht!

Ich schreibe in diesen Tagen wieder regelmässig Tagebuch. Das hilft mir sehr, die Ereignisse des Tages, meine Stimmung, meine Fragen auf Papier zu bringen. Ich nehme mir diese Zeit! Und dann sind für mich natürlich die Gebetszeiten sehr wichtig; sie beruhigen mein Herz, da schöpfe ich Kraft, Vertrauen, Hoffnung. Auch die Verbundenheit mit so vielen Menschen im Gebet gibt eine enorme Kraft.

Klar, es gibt Menschen, die vermisse ich schon auch. In dieser Zeit schreibe ich wieder vermehrt richtige Briefe. Dazu ermutige ich auch meine Mitschwestern. Ich merke, das Bedürfnis, sich mitzuteilen, wächst. Auch telefonieren wir alle mehr als sonst. Das tut uns und den anderen gut. Isolation ist nicht jedermanns Sache, oder? Wir hier im Kloster sind es gewohnt, alleine zu sein und am Ort zu bleiben, Stille auszuhalten, zu schweigen Wir haben diese Lebensform ja freiwillig gewählt und haben sie lange eingeübt. Dass es für viele sehr schwierig ist mit der Isolation, das kann ich mir gut vorstellen. Die Menschen von heute sind viel unterwegs, haben bis jetzt oft wenig Zeit gemeinsam mit der Familie fast ausschliesslich in den eigenen vier Wänden verbracht, sind vielleicht auch selten drei Mahlzeiten am Tag miteinander am Tisch gesessen. Nun sind alle zu Hause, machen Home-Office, Home-Schooling, sind seit Wochen Tag und Nacht fast pausenlos zusammen, können keine Freunde treffen, keine Konzerte und Veranstaltungen besuchen, haben wenig Privatsphäre. Das engt ein und schafft unter Umständen grosse Probleme. Gibt es auch Hoffnung in diesen Tagen? Hoffnung geben mir all meine Mitschwestern, die so vertrauensvoll und tapfer durch diese Tage gehen. Ich bin immer wieder berührt, wie stark verwurzelt gerade auch die betagten Schwestern diese anspruchsvolle Zeit meistern. Sie geben mir Mut und Hoffnung. Wie werden wir aus der Krise kommen? Diese Krise wird für viele Menschen existenzielle Folgen haben, die enorm schmerzen. Die Welt wird «nach Corona» nicht mehr die gleiche sein. Ob wir daraus lernen werden?

Vielleicht lernen wir, dass wir mit weniger leben können, weniger herumreisen, weniger konsumieren und somit auch weniger Ressourcen verbrauchen – eine gute Grundlage für die Zukunft dieser Erde.

Es kann durchaus sein, dass nun die Digitalisierung einen grossen Schub macht, künftig vieles im Beruf und in der Freizeit virtuell und übers Netz geschieht. Ja, ich denke, in dieser Hinsicht passiert ein Epochenwandel. Auch die Kirche, das kirchliche Leben, wird sich verändern, ja hat sich schon ein Stück weit verändert, indem sich das religiöse Leben von der Kirche in die Häuser, Wohnungen, Spitäler und Altersheime verlagert hat. Die Menschen werden innovativ, sie nehmen sich Zeit, in der Familie, in der WG, miteinander Schrifttexte zu lesen und gerade jetzt in der Karwoche, Rituale neu zu beleben. Wie wird Ostern bei Ihnen in diesem Jahr gefeiert? Ostern ist zwar liturgisch an einem bestimmten Datum. Aber im Leben von uns allen kann Ostern geschehen, wenn Karsamstag vorbei ist, so wie ich das am Vorabend von Palmsonntag ganz persönlich und intensiv erlebt habe.

Wir werden als Gemeinschaft diese Tage, Karfreitag und Ostern, schlicht feiern. Es geht um das Wesentliche. Wir Schwestern haben letzte Woche an einen grossen Teil unserer Gottesdienstbesucherinnen und -besucher einen Brief geschrieben, weil wir sie vermissen. Es ist ein eigenartiges Gefühl, in einer geschlossenen Kirche ohne andere Gottesdienst zu feiern. Wir werden am Karfreitag all diese Menschen mit auf den Kreuzweg nehmen und ganz besonders für sie beten. Wir haben sie zudem eingeladen, uns ihre persönlichen Anliegen zu schicken. Diese werden wir am Ostermorgen dem Osterfeuer übergeben mit dem Vertrauen, dass Licht und Heil komme …

Von Zuschauerinnen zu Betroffenen geworden: Die Schwestern im Kloster Fahr. Copyright Kloster Fahr aus dem Buch «Im Fahr»/Christoph Hammer

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