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Mit 300 Sachen durch die Steilkurve

Mit 300 Sachen durch die Steilkurve Mit 300 Sachen durch die Steilkurve

Der 44-jährige Grosser Autorennfahrer Marcel Fässler startet beim 24-Stunden-Rennen in Daytona Beach

Daytona Beach – das ist der Langstrecken-Motorrennsportklassiker schlechthin. Marcel Fässler, dreimaliger Le Mans-Sieger, wird am 26. Januar wieder im Corvette Racing Team an den Start gehen. Zuvor legte er noch einen Boxenstopp bei unserer Zeitung ein.

WOLFGANG HOLZ

Freuen Sie sich schon auf die 24h von Daytona?

Ja, natürlich. Es ist für mich schliesslich der Saisonstart mit einem neuen Auto. Und ein neues Auto ist ein neues Spielzeug. Da kann man kaum warten, bis man damit spielen kann. Wie ist das Rennfeeling in Florida so? Motorensound, Gridgirls, Hitze, Big Mac und Coca-Cola? Das 24-Stunden-Rennen in Daytona Beach hat in Europa fast einen grösseren Stellenwert als in den USA selber. In Amerika ist das 12-Stunden-Rennen von Sebring, wo ich auch an den Start gehe, für die Motorfans fast noch bedeutender. Speziell ist in Daytona aber das Feeling, in einem Stadium mit Steilkurven zu fahren, um das herum zwischen 40’000 und 50’000 Fans sitzen. Sie sagen es. In Daytona und auf anderen US-Kursen hat es Steilkurven. Wie ist das? In den Steilkurven wirken zusätzlich noch andere Kräfte auf einen ein. Neben den seitlichen Fliehkräften drückt es einen bei einem Topspeed von rund 300 Stundenkilometern durch vertikale Kräfte gehörig in den Sitz. Andererseits hat man bei Safety- Car- oder Gelb-Phasen das Gefühl, dass man links runter von der Strecke rutscht – so steil ist die Neigung der Kurven. Daytona ist 5,7 Kilometer lang und ein Kurs mit langgezogenen Hochgeschwindigkeitskurven und kleinteiligen Infield-Streckenabschnitten. Wo liegen hier die Herausforderungen für die Fahrer?

Die Infield-Abschnitte sind sehr technisch – es hat hier nur Erstund Zweit-Gang-Kurven. Die Schwierigkeit liegt darin, sauber zu fahren, die Bremspunkte perfekt zu erwischen und keine Zeit in den Kurven dadurch zu verlieren. Ist der Kurs nicht sehr monoton im Vergleich zum längeren Le Mans? Man braucht für eine Runde in Daytona knapp zwei Minuten. Monoton ist vielleicht das Vollgasfahren in den drei Steilwandkurven – fürs Geradeausfahren braucht man kein fahrerisches Talent. Der Challenge besteht immer wieder darin, richtig fürs Infield anzubremsen, wenn man aus den drei langgezogenen Hochgeschwindigkeits-Steilkurven angerast kommt. Wie viele Runden werden Sie bei dem 24-Stunden-Rennen auf dem Kurs fahren? Das ist noch schwierig zu sagen. Wir fahren beim 24-Stunden- Rennen zu dritt jeweils zirka acht Stunden. Meistens werden wir Doppelstints fahren. Das heisst, dass wir maximal zwei Stunden am Stück fahren. In der Nacht können wir aber, um die Ruhezeiten zu erhöhen, bis zu drei Stints fahren. Ein Stint heisst eine Tankfüllung. Beim Boxenstopp wird getankt und Reifen gewechselt. Apropos Tanken. Wie viel schluckt so eine Corvette bei dem Höllentempo denn? Mehr als 20 Liter auf 100 Kilometer? Eine Tankfüllung fasst rund 80 Liter. Es werden sicher deutlich mehr als 20 Liter auf 100 Kilometer sein.

In Daytona wird es aufgrund der Jahreszeit im Winter länger dunkel sein als bei den 24 Stunden in Le Mans – wie belastend ist das für den Fahrer? Der Daytona Speedway wurde für die Nascar konzipiert. Da wird auch in die Nacht hinein gefahren. Deswegen ist das ganze Trioval bestens ausgeleuchtet und die Dunkelheit für uns Fahrer kein Problem. Ich persönlich liebe es aber, wenn es weniger künstliches Licht hat. Weil dies reflektiert und manchmal beim Fahren ablenken kann.

Wie hoch ist die Rundengeschwindigkeit im Schnitt, wie hoch die Höchstgeschwindigkeit?

Der Topspeed beträgt, wie gesagt, rund 300 Stundenkilometer. Der Schnitt wird so zwischen 170 und 180 Stundenkilometer sein. Die körperliche Belastung in Daytona ist für den Fahrer nicht so hoch, trotzdem muss man zu 100 Prozent voll konzentriert sein, da in den vier verschiedenen Kategorien insgesamt über 50 Autos am Start sein werden.

Sie fahren neuerdings eine Chevrolet Corvette C8.R. Was ist das für ein Auto? Ich bin ja schon seit 2016 als dritter Fahrer bei Chevrolet unter Vertrag, als ich noch für Audi gefahren bin. Damals hatte ich von Audi eine Freigabe bekommen. Die neue Corvette C8.R hat einen Mittelmotor, was dem Auto eine andere Gewichtsverlagerung und eine agilere Fahrdynamik beschert.

Was ist der Hauptunterschied zum Audi?

Der Unterschied ist enorm. Man kann die beiden Autos eigentlich gar nicht miteinander vergleichen. Denn der Audi LPM R18 war ein High-Tech-Renn-Prototyp, der für Le Mans entwickelt wurde. Die Corvette startet dagegen in der GT-Klasse – was bedeutet, dass sie dem Strassenstandard des Wagens ähnelt. Es sind ganz verschiedene Rennklassen und Konzepte. Was sind die Hauptunterschiede zwischen europäischen und amerikanischen Rennautos: Hubraum, Zylinder, Sound? Früher hatte die Corvette sicher mehr Ami-Sound und mehr Hubraum als heute. Man konnte früher sofort erkennen, wenn etwa eine Corvette C7.R vorbeibrummte. Die neue Corvette C8.R ist technisch auf dem aktuellsten Stand. Eine starke Konkurrenz zu den europäischen Herstellern. Und wie unterschiedlich ist es, in einem amerikanischen Rennstall zu fahren?

Menschlich gesehen geht es in amerikanischen und europäischen Rennställen ziemlich gleich zu. Die Europäer sind, was die Technik betrifft, detailverliebter. Bei den Amerikanern müssen Technik und Auto einfach funktionieren. Bei den deutschen Herstellern allgemein legt man mehr Wert auf filigrane Ingenieurskunst. Alles muss perfekt aussehen, jedes kleinste Detail wie auch die Verlegung des Kabelstrangs zum Beispiel. Aber die Amis machen eine bessere Show aus dem Event. Weg von der Technik, hin zum Menschen. Rennsport ist gefährlich. Haben Sie Angst vor Unfällen? Sie haben ja Familie und Kinder. Nein, Angst habe ich keine. Allerdings zeige ich stets Respekt vor der Strecke und gegenüber den dazugehörigen Herausforderungen. Wenn ich ins Auto steige, denke ich nicht an die Familie. Da bin ich voll fokussiert und in meiner Welt. Die Sicherheitsstandards bei den Autos und bei den Strecken sind in den letzten Jahren immer mehr gestiegen, und doch muss man sich immer bewusst sein, dass bei den Geschwindigkeiten, mit denen wir unterwegs sind, bei einem Unfall mehr passieren kann als nur Prellungen. In den 25 Jahren, in denen ich nun Rennen fahre, habe ich nur zwei heftigere Unfälle erlebt.

Nur Glück?

Nein, sicher nicht. Ein bisschen gehört Glück auch dazu. Aber unfallfreies Rennfahren hat schon vor allem damit zu tun, mit welcher Einstellung man fährt. Kopfloses Fahren birgt klar mehr Risiken als Fahren mit Köpfchen. Wie halten Sie sich jeweils fit vor solchen Rennen? Durch körperliches Training. Wenn es jetzt in Einsiedeln Schnee hätte, würde ich Langlaufen gehen. Ich gehe halt joggen und mache Krafttraining und schaue, dass mein Gewicht stimmt. Wenn man leichter ist, ist das Auto schneller ( lacht). Was essen und trinken Sie bei diesen Rennen?

Vor dem Rennen bin ich immer noch sehr nervös und kann kaum essen. Deswegen benutze ich seit Jahren Kohlenhydrat- Gels unseres Sponsors. Dies hilft mir, den Kohlenhydrat- Speicher trotz des mangelnden Hungers und des nervösen Magens zu füllen. Während des Rennens trinke ich viele Elektrolytgetränke, um den Salzverlust infolge des Schwitzens auszugleichen. Je nachdem, wie heiss es in Daytona ist, verliert man zwischen zwei bis vier Kilo Körpergewicht bei so einem 24-Stunden-Rennen – aber das ist ja nur Wasser. Geht Ihnen auch manchmal etwas so durch den Kopf, wenn Sie Ihre Runden drehen? Mir bleibt keine Zeit, um abzuschweifen oder zu den Zuschauern zu schauen. Man muss stets voll konzentriert fahren. Jede Runde ist wie eine neue Qualifikationsrunde. Es gilt immer, das Maximum rauszuholen und keine Zeit zu verlieren. Sie haben schon dreimal Le Mans gewonnen. Was sind noch Ihre Ziele als Rennfahrer? Mein Ziel ist nach wie vor, Rennen zu gewinnen und mein Bestes zu geben. Vielleicht mit dem neuen Auto ein, zwei grosse Rennen zu gewinnen. Meine Motivation, Rennen zu fahren, ist nach wie vor zu gross, um aufzuhören. Solange ich noch schnell genug bin, und meine Motivation stimmt, und ich um den Sieg mitfahren kann, werde ich weitermachen.

Wurmt es Sie im Nachhinein, dass Sie es nie in die Formel 1 geschafft haben? Nein. Ich habe meine Ziele immer hoch gesteckt. Aber für die Formel 1 reicht es eben nicht, nur Talent zu haben. Es braucht eine Menge Faktoren, um es in ein Formel-1-Cockpit zu schaffen. Trotzdem durfte ich 2001 den McLaren von Mika Häkkinen in Barcelona fahren. Was mich sehr stolz macht. Ich war am richtigen Ort aber zum falschen Zeitpunkt. Wie man so schön sagt: Für einen Tag war ich ein Formel-1-Fahrer und konnte mir diesen Kindheitstraum erfüllen. Als Rennfahrer ist man immer schnell unterwegs. Mussten Sie eigentlich schon viele Geschwindigkeitsbussen zahlen? Nein, eher wenige. Ich fahre viel mit Tempomat. Und Rasen auf der Strasse hat nichts mit Rennfahren zu tun. Zudem kann ich mich ja auf einer Rennstrecke austoben. Nicht zuletzt hat man als Rennfahrer auch eine Vorbildfunktion.

Sie sagen es. Müssten Sie angesichts von Greta Thunberg und der neuen weltweiten Ökobewegung deshalb nicht auf die Formel E umsteigen? Nein, für mich wird dies nicht mehr in Frage kommen. Der Umstieg hätte vor sechs Jahren erfolgen müssen, nun bin ich zu alt dafür und nicht mehr interessant für die Hersteller. Die Formel E ist eine andere Art von Rennsport. Fahrstil und Rennformat sind doch sehr unterschiedlich, und ich bin happy, bei den Langstreckenklassikern unterwegs zu sein. Als Co-Kommentator bei «My Sports» habe ich aber ein neues Tätigkeitsfeld gefunden, was mir auch Spass macht.

«Kopfloses Fahren birgt klar mehr Risiken als Fahren mit Köpfchen.»

Das neue «Spielzeug» von Marcel Fässler: die Corvette C8.R von Chevrolet. Unten rechts: Marcel Fässler (Mitte) mit seinen Teamkollegen Tommy Milner (links) und Oliver Gavin. Foto: zvg

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