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Nachsätze

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ZWISCHENLUEGETEN 3

ERNST FRIEDLI

Natürlich ist es nicht so, aber Klärli und ich haben den Eindruck, dass es immer rascher Januar ist als früher. Wie dieses Jahr zum Beispiel: Eben war noch Chilbi, und nun ist Weihnachten und Neujahr auch schon vorbei. Irgendwie ist die Zukunft heutzutage früher als auch schon. Da fragt man sich, ob gute Vorsätze an Silvester überhaupt noch sinnvoll seien, wenn im Neuen Jahr dann doch praktisch keine Zeit bleibt,sie einzuüben und schliesslich vernünftig umzusetzen. Kommt dazu, dass gute Vorsätze meistens dermassen gut sind, dass sie fast immer auch solche bleiben. Das Gute zu wollen ist doch seit Eva und Adam einfacher, als es dann zu tun.

Ich habe mir deshalb überlegt, ob es nicht viel einfacher wäre, sich einmal für ein, zwei Jahre schlechte Vorsätze zu machen. So richtig ungesunde, verschwenderische und unbedachte Schlendrian- Vorsätze. Sich einmal genau das vorzunehmen, was uns die guten Vorsätze verbieten. Anstatt an den guten Vorsätzen ständig zu scheitern, könnten wir dann unsere schlechten Vorsätze praktisch anstrengungslos umsetzen. Das gäbe Ende Jahr einen beachtlichen Saldo nachweisbar eingehaltener Absichten.

Aber Klärli meint, sie persönlich bleibe lieber bei den guten Vorsätzen. Das knapp- oder unerreichte Gute sei ihr doch lieber als das simpel mögliche Gegenteil. Zum Glück haben wir am vergangenen 31. Dezember einen schweizerischen Kompromiss gefunden. Wir haben den guten Vorsatz gemacht, für das Neue Jahr keine schlechten Vorsätze zu fassen.

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Ernst Friedli, 64, seit 31 Jahren verheiratet mit Klärli, geborene Schönbächler. Nichtraucher und Sachbearbeiter im Rathaus, steht unter Amtsgeheimnis. Macht sich in der Freizeit Gedanken zur Weltlage und weiss, dass jeder Vorsatz mindestens zwei Nachsätze hat.

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