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«Es war für mich wie ein zweites Zuhause»

«Es war für mich wie ein zweites Zuhause» «Es war für mich wie ein zweites Zuhause»

Nach über 30 Jahren hatte Berti Kälin-Schönbächler ihre letzte Nachtwache im Alters- und Pflegeheim Langrüti

Während ihrer langen Tätigkeit als Nachtwache hat sie viele lustige und traurige Situationen erlebt, die 68-jährige Berti Kälin-Schönbächler von Willerzell. Vermissen wird sie aber vor allem die Bewohner, ihre Arbeitskolleginnen und alle, welche die Atmosphäre in der Langrüti prägen.

MARLIES MATHIS

Mit Berti Kälin kommt man im Alters- und Pflegeheim Langrüti in Einsiedeln nicht weit. Es gibt sozusagen nichts und niemanden, den sie nicht kennt, und für jeden nimmt sie sich einen Moment Zeit, seien es Bewohner oder Angestellte. Letztere wundern sich vor allem, dass sie in Arbeitskleidung, sprich dem warmen hellgrünen Polo-Shirt und den weissen Hosen, ganz ungewohnt mitten am Tag an ihrem Arbeitsort anzutreffen ist. Es ist jedoch einzig fürs Interview, respektive fürs Foto, dass sie sich netterweise nochmals «in Schale geworfen» hat, hat sie doch am vergangenen Wochenende ihre beiden letzten Arbeitstage oder besser -nächte absolviert.

Für die Seniorinnen und Senioren hingegen ist es einfach pure Freude, auf Berti zu treffen und einen kurzen Schwatz mit ihr zu halten oder eine Sorge bei ihr abzuladen. Sie kennt von vielen die Lebensgeschichte, die halbe Verwandtschaft, aber auch die aktuelle Situation und geht so persönlich auf jede und jeden ein und das in ihrem anheimelnden Einsiedler Dialekt.

Damit ist bei den meisten die Brücke schon geschlagen, nebst dem dass Berti offen, direkt und unvoreingenommen auf sie zugeht, wie die Interviewerin eins zu eins miterleben darf, und sie verwickeln sich sofort in ein Gespräch, dort wo es noch möglich ist. Die Beziehung zu jeder Person ist förmlich spürbar und ist der dreifachen Mutter auch immer am Herzen gelegen. Mit einigen Klienten ist im Lauf der Jahre gar so etwas wie eine Freundschaft entstanden, doch liess sie diese meist nicht zu nahe an sich herankommen, sei es doch nicht einfach, dann endgültig loszulassen. Und es sei nun einmal Tatsache, dass die Bewohner dieses Zuhause im Alter nicht mehr lebend verlassen.

Eine Lebensaufgabe Auch wenn sich die ausgebildete Psychiatrie-Schwester nun nach 30 Jahren und neun Monaten endgültig von ihrer Tätigkeit als Nachtwache in der Langrüti verabschiedet hat, wird sie den Bewohnern aber zum Glück erhalten bleiben, wird sie doch Freiwilligen-Dienst leisten. Sie freue sich jetzt schon, genügend Zeit zu haben und mit Bewohnern spazieren zu gehen, ihnen aus der Zeitung vorzulesen oder mit ihnen zu plaudern, aber auch mit ihnen alte Lieder aus ihrer Jugendzeit zu singen. Dabei beginnt sie selber zu strahlen, ist Singen beim Frauenchor Einsiedeln doch ihr grosses Hobby und hat sie mit dem Singen altbekannter Weisen jeweils nachts oft schlaflose Klienten in der Demenzabteilung beruhigen können.

Dieser Beruf oder konkret der Umgang mit betagten Mitmenschen, der eher eine Berufung ist, wurde Berti anscheinend schon fast in die Wiege gelegt. Sie habe bereits als Jugendliche gerne den Kontakt mit älteren Angehörigen gepflegt und als ihr jüngster Sohn dann siebenjährig war, habe sie beschlossen, sich als Nachtwache im Alters- und Pflegeheim Langrüti zu bewerben.

Am 1. April 1989, mit der Eröffnung des neuen Pflegestationstrakts, startete Berti Kälin ihren 40-Prozent-Job als Nachtwache, und bereits in der Nacht auf den 3. April sei sie ins kalte Wasser geworfen worden. Es war alles neu und unbekannt, und damals seien sie während der Nacht noch völlig auf sich allein gestellt gewesen, und sie habe zu Beginn überall ungewohnte, ja für sie gar unheimliche Geräusche wie das Knarren des Holzes oder das Ticken von Uhren gehört, und sie sei jeweils mit dem Strupper bewaffnet unterwegs gewesen, wie der Nachtmensch, wie sie sich selber bezeichnet, rückblickend und lachend erzählt. Dies ist wohl nebst der offenen Art eine der wichtigsten Voraussetzungen, um diese Tätigkeit überhaupt über längere Zeit ausüben zu können. Sie habe in all den Jahren selten eine Müdigkeitskrise gehabt, obwohl sie eigentlich relativ viel Schlaf brauche, aber sie könne diesen problemlos «portionenweise » einteilen, und ein grosser Vorteil sei auch, dass sie sofort einschlafen könne. Sie könnte ein Buch schreiben

Berti Kälin war wohl nicht zuletzt deshalb für diesen Beruf prädestiniert. Sie gibt dann auch sofort einige Geschichten zum Besten, die sie während der vielen Nächte erlebt hat und die sie heute noch zum Lachen bringen. Es gebe aber auch viele traurige Erinnerungen, ergänzt sie, ja sie könnte ein ganzes Buch darüber schreiben, wie sie zusammenfassend sagt.

Dass ihr die Beziehung zu den Bewohnern und das Verhältnis zu den Arbeitskolleginnen, die ebenfalls in der Nacht arbeiten, und damit das gegenseitige Vertrauen über allem standen und dass für sie eine gut funktionierende Zusammenarbeit etwas vom Wichtigsten in diesem Beruf ist, ist in all ihren Aussagen offensichtlich. Aber auch, dass sie gerne Verantwortung getragen hat und dass sie sich in ihrer Tätigkeit auch die wohl von der Mutter geerbte Eigen- und Selbstständigkeit bewahren und ein Stück weit ausleben konnte.

Auf den Computer hätte sie hingegen verzichten können, wie sie schmunzelnd einwirft, aber auch damit hat sich die Willerzellerin, die lieber ihren Garten pflegt, in der Natur draussen ist oder reist, arrangiert und das dafür gelernt, was nötig war. Vermissen werde sie diesen aber sicher nicht, im Gegensatz zu den vielen Begegnungen mit den älteren Leuten, die ihr so viel für ihre eigene Persönlichkeit gegeben haben, wenn man bereit gewesen sei, auf sie einzugehen. «Meine Arbeit als Nachtwache hat mir in den über 30 Jahren einen Weitblick aufs Leben und den Tod gegeben, und ich würde diesen Beruf sofort wieder wählen.»

Die Beziehung zu den Bewohnern, das gute Verhältnis mit den Arbeitskolleginnen und damit einhergehend eine funktionierende Teamarbeit waren für die über 30 Jahre im Alters- und Pflegeheim Langrüti tätige Nachtwache Berti Kälin-Schönbächler etwas vom Wichtigsten.

Foto: Marlies Mathis

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