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«Wie der Hahn im Korb»

«Wie der Hahn im Korb» «Wie der Hahn im Korb»

Interview mit Valentin Kälin – dem neuen Mitbesitzer der Frauenzeitschrift «Annabelle»

Die bekannteste Schweizer Frauenzeitschrift gehört nicht mehr dem Tamedia Verlag in Zürich, sondern drei neuen Besitzern. Einer von ihnen ist Valentin Kälin. Der 41-Jährige mit Einsiedler Wurzeln ist stolz auf «Annabelle» und fühlt sich in seiner neuen Funktion sehr wohl, bleibt aber gewissen Prinzipien treu – wie er im Interview verrät.

WOLFGANG HOLZ

Herr Kälin, ein Kälin kann sich nirgends auf der Welt verstecken. Jeder weiss sofort, da ist ein Einsiedler am Werk. Wie hat es Sie nach Zürich verschlagen?

Da muss ich ganz von vorne anfangen. Mein Vater, Hermann Kälin, ist gebürtiger Einsiedler und hat früher beim Tamedia- Verlag in Zürich gearbeitet. Als Kind durfte ich schon mal den Betrieb anschauen, und dabei haben mich natürlich unter anderem die Druckmaschinen fasziniert. Später, genau genommen im Sommer 1994, habe ich schliesslich die kaufmännische Lehre beim «Tagi» – und damit in Zürich – begonnen.

Welchen Beruf hat Ihr Vater denn ausgeübt? Er war lange Jahre Korrektor beim Tagesanzeiger und später auch für die Zeitschrift «Schweizer Familie» tätig gewesen. Welche Erinnerungen haben Sie noch an Einsiedeln? Am besten kann ich mich noch an die Besuche bei meinen Grosseltern erinnern. Sie haben dort gewohnt, wo heute die Migros steht. Später ging ich als Kind auch immer wieder am Klosterhügel Ski fahren … Dieser Lift läuft diesen Winter übrigens nicht … … das ist aber schade. Das zeigt, dass ich schon lange nicht mehr in Einsiedeln war. Wir waren aber auch oft auf der Langlaufloipe und anschliessend noch im Café Tulipan. An Weihnachten haben wir auch schon die grosse Kirchenzeremonie im Kloster besucht. Nicht zuletzt ging ich immer wieder gerne auf die legendäre Einsiedler Chilbi. Als Kind ist man dort wirklich gerne gewesen. Haben Sie noch Verwandte und Bekannte in Einsiedeln? Da müsste jetzt mein Vater hier sein, um diese Frage genau beantworten zu können. Ich habe bestimmt noch Verwandte in Einsiedeln, aber leider keinen Kontakt mehr zu ihnen. Mein Onkel, zu dem ich den grössten Bezug hatte, ist leider verstorben.

«Wenn man ein Kälin ist, gehört man immer zu Einsiedeln.»

Haben Sie das Kälin-Bewusstsein auch in der Fremde bewahrt?

Wenn man ein Kälin ist, gehört man immer zu Einsiedeln. Dieser Bürgerort steht auch im Pass drin. Und man ist auch stolz darauf, ein Einsiedler zu sein – auch wenn man dort nicht mehr lebt.

Und warum sind Sie so stolz auf Einsiedeln? Es ist einfach ein wunderschöner Ort mit dem wohl bekanntesten Kloster der Schweiz. Die Leute fahren gerne dorthin. Einsiedeln hat eine gewisse Aura, die sehr positiv ist. Vermissen Sie jetzt als Grossstadtpflanze das frische Wasser und die frische Luft aus Einsiedeln?

Ich würde sicher gerne mal wieder in die Höhe und die frische Luft und das frische Wasser geniessen, ich arbeite daran ( lacht herzhaft).

Kommen wir zurück zu Ihren Anfängen bei Tamedia. Wie wird aus einem KV-Lehrling eigentlich ein Mitbesitzer der «Annabelle »? Das ist ein Werdegang, der über 20 Jahre geht. In meiner Lehre habe ich sehr stark das Interesse für Medien entwickelt. Meine erste Stelle war dann bei der «Annabelle» als Assistent der Verlagsleitung. Ich war schon damals stolz: Die «Annabelle» war schon immer eine starke Marke.

Und danach?

Danach habe ich zuerst keine Berührungspunkte mehr zur «Annabelle » gehabt und bin zur NZZ gegangen, wo ich eine Direktmarketing- Abteilung mit aufgebaut habe. Später war ich bei Ringier für die «Gesundheit Sprechstunde » tätig, danach bei Axel Springer Schweiz für den «Beobachter ». Und zuletzt verbrachte ich noch fünf Jahre bei den AZ Medien in Aarau, als Marketingleiter für elf Zeitschriften. Nachdem ich die grossen Medienhäuser durchlaufen hatte, fragte ich mich irgendwann, was ich in Zukunft machen möchte. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen? Ich fand, ich müsste grundsätzlich einen Wechsel vornehmen. Ich habe deshalb bei den AZ Medien gekündigt und bin mit der Verlagsagentur Share Media GmbH in die Selbstständigkeit eingestiegen. Da ging es vor allem um Verlagsserviceleistungen, insbesondere um Abonnementsgewinnung. Und so habe ich mitbekommen, dass die Kochzeitschrift «Le Menu» zum Verkauf steht. «Le Menu» erscheint zehn Mal im Jahr und ist mit 280’000 Personen sogar die grösste unabhängige Kochzeitschrift der Schweiz. Und da mein Herz schon immer für die Medien geschlagen hat, und ich davon geträumt habe, einen eigenen Verlag zu gründen, habe ich mich zusammen mit Jürg Rykart dann entschlossen, «Le Menu», das Swissmilk gehörte, zu erwerben.

Aber was hat «Le Menu» mit «Annabelle» zu tun?

«Le Menu» hat uns den Einstieg ins Medien-Unternehmertum ermöglicht, und wir haben die heutige Medienart AG gegründet. Uns war aber von Anfang an klar, dass wir gerne weitere Medientitel im Portfolio haben wollten.

Das heisst, Sie haben dann irgendwann Tamedia die «Annabelle » abgekauft. Genau. Das ist noch eine ganz lustige Geschichte. Da «Le Menu» primär ein Frauentitel ist, haben wir uns überlegt, welche Frauenzeitschrift dazu passen würde – ja, die «Annabelle». Ich habe dann schon eine E-Mail an den Verleger von Tamedia vorbereitet, in der wir ihm erklären wollten, warum die «Annabelle» nicht mehr ins Tamedia-Portfolio passt. Kurz danach stand «Annabelle » zum Verkauf … … cool!

Ja. Wir hatten sofort reagiert und die E-Mail entsprechend abgeändert – in dem Sinne, dass die Medienart AG schon länger daran interessiert sei, die «Annabelle » zu übernehmen. Pietro Supino, Verleger der Tamedia, hatte umgehend geantwortet, und so durften wir ein Kaufangebot unterbreiten.

War «Annabelle» teuer?

Über den Preis haben wir Stillschweigen vereinbart. Nur soviel: «Annabelle» ist eine Marke, welche schweizweit bei Frauen und Männern bekannt ist, und hat als Brand also einen entsprechend hohen Wert. Wer hat den Kauf finanziert?

Wir sind primär eigenfinanziert. Wir konnten das einerseits mit der Medienart AG stemmen, andererseits verfügen wir über private Darlehensgeber. Und wie geht’s «Annabelle» heute? Sie hat ja zwischendurch arg gekriselt. Ja, die «Annabelle» hat in ihrer 80-jährigen Geschichte bereits verschiedenste Krisen durchlebt. Auch zu meiner Zeit, in den 90er-Jahren, gab es Überlegungen, das Magazin einzustellen. Glücklicherweise konnte man damals eine Lösung finden. Heute lesen noch immer 210’000 Frauen und Männer die «Annabelle». Wir werden weiter in die starke Marke investieren und neben Print die digitalen Kanäle sowie die erfolgreichen Events, wie die «Annabelle soirée », ausbauen.

Wie fühlen Sie sich als männlicher Mitbesitzer einer Frauenzeitschrift?

Wie der Hahn im Korb ( lacht)! Nein, Spass beiseite. Die «Annabelle » hat bei der Medienart AG viele Freiheiten, politisch aktiv zu werden. Um für Frauen einzustehen. Ich rede da nicht rein, was redaktionelle Inhalte anbelangt. Wir sind drei Mitbesitzer, wobei Brigit Langhart die Position der Frauen einnimmt und die publizistische Leitung innehat.

«Frauenförderung ist sehr wichtig, aber Quoten sind keine Lösung für die Emanzipation der Geschlechter.»

Wird angesichts der MeToo-Bewegung und der zunehmenden gesellschaftlichen Gender-Diskussion die «Annabelle» nun vollends zum politischen Organ der Frau in der Schweiz? Die «Annabelle» war schon immer politisch tätig. Sie war und ist noch immer eine wichtige Stimme für die Frau. Das soll auch weiterhin so bleiben. Ja, wir wollen auch im Bundeshaus in Bern wieder stärker Fuss fassen.

Lesen Sie «Annabelle» von A bis Z? Ja. Aber den «Beauty-Teil» überfliege ich dann doch eher ( lacht). Haben Sie sich dann auch schon als Mann geändert?

Ich habe meine Positionen immer wieder reflektiert. Aber deshalb habe ich jetzt nicht unbedingt meine Meinungen geändert. Also, wenn es beispielsweise um die Diskussion von Frauenquoten geht, bin ich nach wie vor der Meinung, dass Quoten keine Lösung sind. Wir benötigen die besten Leute in den entsprechenden Positionen – unabhängig vom Geschlecht. Quoten funktionieren meiner Meinung nach nicht. Frauenförderung ist sehr wichtig, aber Quoten sind keine Lösung für die Emanzipation der Geschlechter. Letzte Frage: Wie lange gibt’s noch Printprodukte? Noch ganz lange. Vor allem im Fachtitel- und Special-Interest- Bereich. Nach einem hektischen Tag will man als Leser schliesslich nicht immer in den Bildschirm schauen. Man möchte sich viel lieber zurücklehnen, geniessen und nebenbei alle Sinne aktivieren: sehen, riechen, fühlen … Zudem nimmt man vertiefte Informationen ganz anders auf. Und für diesen Zweck ist so ein haptisches Produkt wie ein Print-Erzeugnis am besten geeignet.

Lässig, entspannt: Valentin Kälin, einer der drei neuen Besitzer von «Annabelle», hat natürlich Einsiedler Wurzeln. Fotos: Wolfgang Holz

Von A bis Z liest er die Frauenzeitschrift – nur die Beauty-Seiten überblättert Valentin Kälin.

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