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«Ich pfeife gerne – über alles»

«Ich pfeife gerne – über alles» «Ich pfeife gerne – über alles»

Cécile Winet wurde an der 18. Gala des Fussballverbands Region Zürich zur «Schiedsrichterin des Jahres» gekürt

Seit 16 Jahren ist Cécile Winet unermüdlich als Schiedsrichterin im Einsatz. Die 52-jährige Einsiedlerin trägt den schwarzen Karate-Gürtel und trainiert überdies Mädchen und Buben in der Fussballschule.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie kommen Sie zum Pfeifen auf dem Fussballplatz?

Wie die Jungfrau zum Kind (lacht)! Ein zu tiefer Schiri-Quotient beim FC Einsiedeln, pro Mannschaft muss man einen Schiedsrichter stellen, war der Grund, dass ich mich einst zum Grundkurs meldete. Die Bussen für fehlende Refs waren nämlich so hoch, um die 3000 Franken, dass ich als Kassierin des FC Einsiedeln nur noch diesen Ausweg aus dem Dilemma sah. Und Frauen zählten damals doppelt – zwei Fliegen auf einen Schlag, sozusagen. Ich bin unter hundert Schiedsrichtern in der Region Zürichsee- Süd die einzige Frau. Dass aktuell gerade bei Frauen massiv zu wenige Unparteiische zur Verfügung stehen, orte ich darin, dass Frauen viele auf dem Spielfeld vorkommende Konversationen viel zu persönlich nehmen. Sind Sie gerne Spielleiterin?

Ja, ich pfeife gerne – über alles. Ich schätze es auch, viel Bewegung zu haben während eines Spiels. Man läuft ja als Schiedsrichter in neunzig Minuten gerne mal fünf Kilometer. Das ist naturgemäss sehr gesund. Und wenn man sich ausreichend einläuft vor dem Spiel, ist auch die Verletzungsgefahr sehr gering.

Ist man als Schiedsrichter der Chef auf dem Platz oder agiert man vielmehr wie ein Dirigent eines Orchesters? Eigentlich weder noch. Ich versuche möglichst unauffällig ein Spiel zu leiten, auf dass ich möglichst gar nicht wahrgenommen werde. Das entspricht auch meinem Naturell: Ich agiere lieber im Hintergrund, hinter den Kulissen. Allerdings gibt es Spiele, in denen man mehr führen, strenger pfeifen muss, auf dass es nicht ausartet. Wenn man in einem Spiel den Moment verpasst, streng durchzugreifen, können viele dreckige, versteckte Fouls die Folge sein. Es ist mir zwei bis drei Mal passiert, dass mir ein Spiel vollends entgleist ist, mit einer wahren Flut an roten und gelben Karten als Folge davon. Was bedeutet Ihnen der Preis «Schiedsrichterin des Jahres»? Ich wurde überrascht, dass ich überhaupt nominiert worden bin, und habe diese Wahl keineswegs erwartet. Dementsprechend konnte ich nicht wirklich gut schlafen in der Nacht vor der Gala und war dann sehr nervös während der Preisverleihung. Ich stehe eben nicht gerne im Vordergrund. Christa Rigozzi hat dann aber bestens moderiert und mich gut abgeholt auf der Bühne. Welche Fähigkeiten zeichnen eine gute Schiedsrichterin aus? Man sollte als Schiri eine Elefantenhaut haben. Ein Schiedsrichter fungiert wie ein Blitzableiter, da muss man nicht alles persönlich nehmen und jedes Wort, das auf dem Feld ausgesprochen wird, auf die Goldwaage legen. Wichtig ist, die richtige Einstellung mit ins Spiel zu tragen, die Fussballer ernst zu nehmen. Denn mein Verhalten als Schiri prägt schliesslich die ganze Partie. Für mich bedeutet der Schiri- Job so etwas wie eine Lebensschule. Ich habe viel gelernt aus dieser Tätigkeit heraus. Mussten Sie auch schon mit einem Karateschlag die Gemüter beruhigen? Im Jahr 2005 gab es im Anschluss an ein Fussballspiel in Kilchberg eine schlimme Schlägerei mit mehreren Verletzten. Die Ausschreitungen löste ein Trainer aus, der austickte, und machten einen Polizeieinsatz notwendig. Wenn einer austickt und auf dich zurennt, nützt es wenig, wenn du eine Frau bist. Den kannst du weder mit Vernunft noch mit einem Karateschlag beruhigen. Als letzter Ausweg bleibt da nur noch das Weglaufen. Oder dass man von Männern geschützt wird, die dazwischen gehen. Haben Sie nach diesem Spiel den Schiri-Job an den Nagel hängen wollen? Vielleicht aus einem ersten Impuls heraus schon. Allerdings muss man hierzu auch festhalten, dass dieses Spiel einen Einzelfall darstellt. Die ganz grosse Masse mit Tausenden von Fussballspielen bleibt vollends friedlich. Am ehesten kommt es zu Spannungen, wenn verschiedene Nationalitäten aufeinanderstossen und sich darob Missverständnisse ergeben aus Ausdrücken, die womöglich rassistisch ausgelegt werden, aber zumeist gar nicht so gemeint sind. Ist es von Vorteil, eine Frau zu sein für diesen Job? In gewissem Masse gibt es einen Frauenbonus, auch wenn ich jetzt den Emanzipationsaspekt gar nicht so in den Vordergrund rücken möchte. Die Männer nehmen sich eher zusammen, wenn eine Frau pfeift. Es gibt Spieler, die andere dazu aufrufen, anständig zu sein, weil eine Frau pfeife. Auf der anderen Seite gibt es auch immer wieder Stimmen, die eine schlechte Schiri- Leistung damit in Verbindung bringen, dass eben eine Frau pfeift. Es gab mal einen Trainer, der nach dem Spiel die Bemerkung fallen liess, dass ich besser kochen solle als Fussballspiele zu leiten. Diesem habe ich geantwortet: Kochen kann ich auch nicht (lacht). Sind Frauen zu lieb für den Schiedsrichter-Job? Vielleicht sind Frauen zu harmoniebedürftig. Aber auch Männer sind oft viel zu lieb und lassen sich zu viel gefallen. Schiris sind generell oft viel zu weich im schlichten Sanktionieren gegenüber undisziplinierten Spielern. Wenn da wieder eine Horde an Reklamierenden den Ref bedrängt und der sich irgendwie rausschleicht in der Hoffnung, es lege sich ja wieder – das kann es nicht sein. Vielfach lassen wir uns Dinge gefallen, die wir im normalen Alltag nie und nimmer annehmen würden. So bleibt die Frage, ob wir Schiris Teil des Problems sind, wenn es zu solchen Auswüchsen kommt. Einfach deshalb, weil wir viel zu viel schlichtweg inkonsequent handeln. Wieso benehmen sich Männer oft so ungebührlich schrecklich auf dem Fussballplatz? Fussballspieler machen oftmals ein wahnsinniges Theater und wälzen sich am Boden, als hätten sie sich ein Bein gebrochen. Sie wollen damit den Schiedsrichter hinters Licht führen und etwa einen Penalty herausholen. Frauen machen das in der Tat weniger, auch bei Eishockeyspielern ist dieses Verhalten verpönt und erst recht machen Fussballer in England nicht dieses Theater.

Was müsste sich ändern, damit dieses Gehabe ein Ende findet?

Das hat viel mit der Kultur zu tun und ist dementsprechend schwer zu ändern. Je tiefer man in den Süden von Europa geht, desto ausgeprägter ist dieses Verhalten. Das beginnt bei den Trainern, die den Spielern dieses Theaterspielen antrainieren. Eigentlich ist es Betrug, weil man sich auf diese Weise einen Vorteil herausholen will, der sich gar nicht aus der Situation ergibt, sondern eine reine Simulation bedeutet. Aber man lobt diese Theaterspieler noch und bezeichnet sie als clever … Sie trainieren Mädchen und Buben in der Fussballschule Einsiedeln. Sind da Unterschiede unter den Geschlechtern im Verhalten bereits akzentuiert? Tatsächlich sind da bereits Unterschiede erkennbar. Ich gebe Ihnen ein Beispiel hierfür aus meiner Tätigkeit als Juniorentrainerin beim FC Einsieden: Da hat ein Bub so ein Theater gemacht und sich am Boden gewälzt, dass ich ihn rausgenommen habe. Weil, wenn einer so schwer getroffen wird, kann er doch nicht mehr weiterspielen … Sofort hat der Vater des Knaben interveniert und sich gegen meine Massnahme gewehrt. Er wollte nicht, dass ich das Verhalten des Buben sanktioniere. Sie sehen: Es beginnt früh, dass man den Spielern dieses Verhalten antrainiert und darauf trimmt. Überrascht Sie der Umstand, dass der Frauenfussball einen solchen Boom erlebt? Wer hätte noch vor Jahren gedacht, dass Frauen in der Lage sind, ein solches technisch und taktisch perfektes Fussballspiel zeigen zu können! Mädchen können bis zur Juniorenkategorie C problemlos mit den Buben mithalten. Ab dann ergeben sich Unterschiede: Männer schlagen Frauen im Fussball, weil sie schneller sind und über eine stärkere Physiognomie verfügen. Haben Sie im Berufsleben auch die Hosen an? Nein, überhaupt nicht. Ich bin gar nicht der Führertyp. Ich halte mich lieber im Hintergrund auf und überlasse das Führen anderen. Ich sehe meine Fähigkeiten eher im administrativen Bereich. Dass der Fussballklub Einsiedeln finanziell so gut unterwegs ist, ist Ihr Verdienst? Es gab auch schon mal schwierigere Zeiten, in denen wir den Gürtel enger schnallen mussten. Ich finde, der Fisch stinkt meistens vom Kopf her und habe dem Vorstand das Vorstandsessen gestrichen – aus Spargründen. Ich habe an der Generalversammlung des FC Einsiedeln dies auch so kommuniziert, was nicht bei allen Vorstandsmitgliedern auf helle Begeisterung gestossen ist (lacht). Zuweilen zeigt sich die finanzielle Situation auch ganz überraschend. Nach dem Abstieg der ersten Mannschaft aus der ersten Liga hat man angenommen, dass nun die Sponsorengelder einbrechen. Das war nicht der Fall: Unseren Sponsoren ist die authentische Klubatmosphäre ein Anliegen. Sie unterstützen vor allem auch die Jugendarbeit des Vereins.

Sie sind eine überaus engagierte Frau, die viel Zeit und Energie in die Freiwilligenarbeit investiert. Woher nehmen Sie die Kraft für die vielen Tätigkeiten? Es ist vielfach genau umgekehrt: Der Karatesport etwa bedeutet für mich eine intensive Kraftquelle, die mir viel Energie gibt. Im Zentrum steht hierbei weniger der Kampf als vielmehr eine Art Philosophie: Ich trainiere den Körper und erweitere hiermit meinen Geist. Und die Jugendarbeit im FC Einsiedeln ist einfach eine schöne Sache. Es ist sehr erfüllend, sich für die Kinder einsetzen zu dürfen. Dass die Freiwilligenarbeit in der heutigen Zeit einen so schweren Stand hat, erstaunt nicht: Die Leute wollen sich nicht langfristig binden, unabhängig bleiben, ihr Leben leben und scheuen sich davor, Verantwortung zu übernehmen. Leben Sie jeden Tag so, wie wenn es Ihr letzter wäre? Das ist in der Tat mein Lebensmotto. Weil der Tod ist wie unser eigener Schatten ein ständiger Begleiter unseres Daseins. Wer weiss, wann unser Leben endet. So schnell kann ein Herz aufhören zu schlagen. Dieses Bewusstsein des Todes hilft mir, mich nicht über irgendwelche komplett irrelevanten Nebensächlichkeiten zu ärgern. Und mich stattdessen auf das Wesentliche zu konzentrieren, auf unsere Mitmenschen zuzugehen und den Menschen die Aufmerksamkeit zu schenken.

Cécile Winet hält die Finanzen des FC Einsiedeln in Ordnung und trainiert Junioren. Foto: Magnus Leibundgut

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